Kurz vor meiner Pensionierung konnte ich es einfach nicht mehr aushalten. Nach mehr als dreißigjähriger Mal-und Zeichenpause musste ich mich einfach wieder künstlerisch betätigen und schrieb mich in einen Aquarellmalkurs ein. Zu Beginn kam ich mir vor wie ein vertrockneter Garten, auf dessen Boden nichts mehr wuchs.
Doch nach und nach schien es mir, als würden Wassertropfen das harte Erdreich aufweichen und zarte Pflänzchen daraus hervorkommen. Unter der behutsamen Führung von Prof. Colnago entwickelte ich mich in der Aquarellmalerei immer weiter. Besondere Freude machte es mir, die verschiedensten Arten von Blumen nicht sklavisch abzumalen, sondern gewissermaßen Blumenporträts zu schaffen.
Dabei wandte ich gerne auch die Technik des Auswaschens und Übermalens an, wodurch besondere Effekte entstanden. Gegen den Rand des Bildes wurden die Blüten oftmals immer zarter und ätherischer, sodass meine Blumenbilder – wie einmal ein Ausstellungsbesucher meinte - eine Art universeller Dimension bekamen. Eine Freundin meinte einmal beim Betrachten meines Schneeglöckchenaquarells sie könne darin sogar mehrere Generationen von Schneeglöckchen erkennen.
Als ich eines Tages eine Ausstellung von Blumenfotos sah, erlebte ich einen großen Schock. Der Fotograf hatte mit einem Klick mindestens ebenso schöne und stimmungsvolle Bilder gemacht wie ich sie mit meiner Aquarelltechnik nur in mehrstündiger Arbeit zustande brachte. Da beschloss ich, etwas zu machen, was der Fotograf nicht konnte:
Ich zerschnitt kurzerhand meine Aquarelle und klebte die so entstandenen Streifen mit Abständen auf ein neues Blatt Papier. Die dazwischen liegenden Flächen malte ich mit Acrylfarben entsprechend den Farben, die im Aquarell vorkamen, aus. Dabei entdeckte ich, dass ich mich inzwischen vom ursprünglichen Blumenaquarell gedanklich weit entfernt hatte und andere Formen darin zu sehen begann.
So folgte ich den vorhandenen Linien in ganz neuer Weise, und es entstanden aus den ursprünglichen Blumen und Blättern Körper und Köpfe. Für mich hatte damit eine völlig neue kreative Etappe begonnen.
Dabei kommt mir ein Gedanke in den Sinn: Ist es nicht auch in unserem Leben manchmal so, dass wir einen gut eingefahrenen Weg verlassen müssen, ja sogar etwas scheinbar Perfektes zerstören müssen, um an neue Ufer zu gelangen? So kann auch jeder Schock oder jede Enttäuschung zu kreativem Neuen führen und unserem Leben eine neue Richtung geben. Wenn das nicht tröstlich und ermutigend ist…